http://www.maerkischeallgemein…ogante-Schnoesel-und.html
Wie ein märkischer Taxifahrer sich, seinen Job und seine Kundschaft sieht!
Ich bekam diesen Link über einen Kollegen in Facebook.
Aus der MÄRKISCHE ALLGEMEINE
28.05.2011
KAFFEEKLATSCH: Auf dem Rücksitz das pralle Leben
Taxifahrer Michael Kühn plaudert über arrogante Schnösel und den Uhrenladen im Schlafzimmer
Der gebürtige Zeuthener Michael Kühn ist seit fast 20 Jahren als Taxifahrer unterwegs. Er weiß wie die Leute ticken, was sie aufregt. Mit dem 56-Jährigen sprach Franziska Mohr über seinen Heimatort, über Fahrgäste sowie das alltägliche Chaos auf den Straßen.
MAZ: Kann Sie nach so vielen Jahren bei Fahrgästen noch irgendetwas überraschen?
Michael Kühn: Eigentlich nicht. Nach 20 Jahren hat man so viele Typen kennengelernt, ist so viel passiert, dass Überraschungen wirklich selten sind. Aber sie kommen noch vor.
Wer ist Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Kühn: Es ist vielleicht zwei Jahre her, als ich ein Zeuthener Pärchen in Abendgarderobe, die Frau im langen Kleid, der Mann im Smoking, zum Potsdamer Platz fuhr, wo ich sie auch wieder abholen sollte. Gesagt getan. Allerdings waren die feinen Herrschaften dann so sternhagelvoll und haben sich offensichtlich aufgrund eines Seitensprungs derart im Auto belöffelt, dass mir das Hören und Sehen verging. Sie gebrauchten Schimpfwörter, von denen ich nicht einmal gedacht hätte, dass sie sie überhaupt kennen, geschweige denn benutzen. Da fielen Wörter, die wurden nicht einmal in der Mülle, in der ich vor der Wende gearbeitet habe, gebraucht.
Was bitteschön ist die Mülle?
Kühn: Offiziell hieß der Betrieb VEB Stadt- und Gemeindewirtschaft Wildau, der Vorgänger der Awu. Wir haben aber immer nur Mülle gesagt. Das war ein richtiger Schmelztiegel. Vom Ingenieur über den Handwerker bis zum Suffi und Knastbruder hat dort alles gearbeitet. Ich lernte da Kfz-Schlosser und war bis 1992 Werkstattleiter. Doch dann kamen die Westchefs und wollten uns das Arbeiten lehren. Da passte ich mit meiner großen Schnauze einfach nicht mehr hin. Zumal mir meine Mutter eines beigebracht hat: Die Dresche von unten tut weitaus mehr weh als die von oben. Anfang 1992 habe ich mir dann gesagt: Gut, bisher hast du die Karren repariert, jetzt fährt du sie eben kaputt.
Kann man heute als Taxifahrer noch überleben?
Kühn: Ja, aber man muss bereit sein, sich selbst gnadenlos auszubeuten und auf fast alle Feiertage und Wochenenden zu verzichten. Zehn bis zwölf, manchmal gar 14 Stunden sind Pflichtveranstaltung. Acht Tage Urlaub im Jahr müssen reichen. Ich leiste mir sogar noch zwei Angestellte. Einer davon ist meine Lebenspartnerin, die seit neun Jahren selbst Taxi fährt. Das klappt, weil wir wissen, wenn wir uns nicht bewegen, kommt keine Kohle rein.
Haben Sie keine Angst, dass ihr etwas passiert?
Kühn: Sie macht nur Nachtfahrten bei Leuten, die wir kennen. Ansonsten ist sie auf Zack. Freitags ist ihr Omi-Tag. Da macht sie ihre Rundtour mit den Frauen aus der Umgehung, die sie zum Markt in Zeuthen fährt. Später holt sie sie mit den vollen Taschen wieder ab. Dafür habe ich nicht die Nerven.
Welche Typen lernt man als Taxifahrer so kennen?
Kühn: Das pralle Leben eben, wobei innerhalb von Minuten die Gefühle von total witzig bis zu todtraurig wechseln. Manche Krebspatienten fahren wir 30-mal nach Bad Saarow. Da weiß man schon, wie der Wellensittich heißt und wann der Enkel Geburtstag hat. Und manchmal passiert es einem auch, dass man sechs Monate später die Witwe auf den Friedhof fährt.
Gab es auch schon so richtig brenzlige Fahrten?
Kühn: Mist. Trauriges hatten wir gerade erst. Aber das muss ich trotzdem loswerden. Da fuhr ich eine Frau am Nachmittag zum Krankenhaus, der man vergessen hatte mitzuteilen, dass ihr Mann bereits in der Nacht gestorben war. Da hat dann selbst meine große Schnauze Sendepause. Brenzlig sind auch immer Hochschwangere, wo man irgendetwas labbert, bloß um ihnen die Angst zu nehmen. Dabei ist man selbst über jeden geschafften halben Kilometer froh, wo die Fruchtblase nicht geplatzt ist.
Haben Sie schon mal eine echt wichtige Tour vertrödelt?
Kühn: Den Flieger hat meinetwegen noch niemand verpasst. Aber bei einem Ehepaar aus Schulzendorf war es schon mal haarscharf. Als ich dort in aller Herrgottsfrühe ankam, war in dem neu gebauten Haus noch alles dunkel. Eine Klingel gab es noch nicht. Glücklicherweise führte ein Nachbar seinen Hund aus, der sich wunderte, dass ich dort mitten in der Nacht stand. Er kannte einen Schleichweg und klopfte an die Scheibe. Verschlafen. Zehn Minuten später feuerten wir los. Aber ich konnte gar nicht in den Rückspiegel schauen. Die Frau sah so fertig aus, kaum gekämmt, keine Schminke. Aber wir kamen noch pünktlich. Ohnehin gleicht mein Schlafzimmer immer einem Uhrenladen, wenn ich Fahrgäste früh zum Flughafen fahren muss.
Wird viel um den Fahrpreis gefeilscht?
Kühn: Bei den Kunden kann man zwei Sorten unterscheiden. Die einen, die meist noch eine fette Villa am Zeuthener See haben, lassen sich für 68,50 Euro irgendwohin kutschieren und sagen dann beim Trinkgeld, dass sie den einen Euro unbedingt für den Kofferwagen brauchen. Und dann gibt es die anderen, die das ganze Jahr eisern gespart haben, um sich einen Trip nach Malle leisten zu können. Die rufen vorher noch dreimal an, damit man die Fahrt zum Flughafen auch wirklich nicht vergisst. Angekommen, geben sie ganz selbstverständlich einen Fünfer Trinkgeld, weil sie einfach ihre Freude teilen wollen. Insgesamt aber merkt man, dass bei den Leuten das Geld längst nicht mehr so locker sitzt wie noch kurz nach der Wende.
Graut Ihnen vor manchen Fahrgästen?
Kühn: Nein. Aber es gibt schon arrogante Typen, wo man auf der Stadtautobahn betet, dass man in einen dicken Stau kommt. Da würde man sich dann mit Vergnügen ganz hinten anstellen, damit der Typ bloß seinen Termin verpasst. Dabei kennt man dutzende Schleichwege. Meist tut einem der lieben Gott aber gerade dann nicht den Gefallen. So manchen Ekel fährt man nur einmal. In Schulzendorf wohnt so ein Neureicher, der sich ewig chauffieren ließ und dann grinsend nur 25 Euro rüberreichte mit der Bemerkung: Wenn du mehr willst, kannst du mich ja verklagen. Da genügt ein Rundruf unter Kollegen. Den fährt keiner mehr.
Unter Taxifahrern scheint ein rauer Ton zu herrschen. Stimmt das?
Kühn: Es gibt Kollegen, denen vererbe ich so manche Tour. Manchen aber würde ich nicht einmal sagen, wie spät es ist. Sie versuchen einem die Kunden abzubaggern. Wenn so einer auf die Schnauze fällt, freue ich mich diebisch.
Gab es nicht in Schönefeld immer Krach mit den Berliner Kollegen?
Kühn: Das hat sich ein bisschen entschärft. Aber es war schon heftig, was einige heißblütige Berliner Kollegen da abgezogen haben. Als wir als LDSer von unserem Vorfahrtsrecht Gebrauch machten, sind sie uns beinahe in die Autos gefahren. Das ging bis zu Drohungen wie „wenn du nach Hause kommst, brennt deine Hütte.“ Und einige Heißblüter waren sogar so dufte, dass sie sich weigerten, die Koffer von deutschen Frauen einzuladen. Übel.
Worüber wird im Auto am häufigsten geplaudert?
Kühl: Topthema ist das Wetter. Alles andere ist tagesabhängig. Ein Aufreger sind die Prügeleien in der U-Bahn. Dabei waren sich alle einig, dass man diese Jugendlichen für Jahre wegsperren müsste. Der Flughafen sorgt auch für Gesprächsstoff. Auffällig ist dabei, dass die Zeuthener Ureinwohner den Fluglärm viel entspannter sehen als die Zugezogenen. Die noch von einem Baustopp reden, haben doch eine Macke. Die größte Klappe in Bezug auf den Fluglärm haben ohnehin diejenigen, die sich zehnmal im Jahr die Welt ansehen.
Wie steht’s mit der Politik. Ist sie ein Thema?
Kühn: Klar. Der Grundtenor ist, dass die meisten von allen Parteien enttäuscht sind. Hier hat doch keine wirklich etwas gerissen. Und die Politiker schwindeln ohnehin schneller als die Pferde laufen können.
Spielt das Thema Ost und West noch eine Rolle?
Kühn: Es gibt schon noch so arrogante Edel-Wessis. Einer wollte zu Dussmann und stellte zehn Jahre nach der Wende ganz erstaunt fest, dass es auch im Osten Mercedes-Taxen gibt. Ohnehin sind in Zeuthen diejenigen die Schlimmsten, die ihr Grundstück geerbt oder aber nach der Wende wiedergekriegt haben. Für sie ist Zeuthen auch ein „Vorort der Hauptstadt“, während wir Ureinwohner nur vom Dorf reden. Mit vielen der wirklich Zugezogenen aus Wessiland kommt man aber aus.
Plagen Sie Existenzängste?
Kühn: Natürlich. Die fetten Jahre sind vorbei. Die Autos habe ich nur auf Kreide gekauft. Heute fahren doch fast nur noch alte Knochen Taxi. Alle fünf Jahre müssen wir wegen der Personenbeförderung zum Tüv. Ganz abgesehen von bösen Unfällen oder üblen Kontrollen. Manches ist doch nur Abzocke, wenn sie Sonntagfrüh um 5 Uhr auf der Miersdorfer Chaussee stehen. Glücklicherweise funktioniert auch der Rundruf unter Kollegen.
Sie düsen jährlich fast 90 000 Kilometer. Gibt es Strecken, die sie hassen?
Kühn: Die A12, die wir Taxifahrer übrigens nur Warschauer Chaussee nennen, gehört in jedem Fall dazu. Hier kommt es schon mal vor, dass ein 40-Tonner plötzlich 80 Meter rückwärts fährt, weil er irgendeine Abfahrt verpasst hat. Das ist eben der ganz normale Wahnsinn, mit dem man als Taxifahrer tagtäglich sowohl auf dem Rücksitz als auch auf der Straße lebt.